Erfurter Studierende ringen um das Semesterticket

02.12.2022

Die Studierenden der beiden Erfurter Hochschulen und das Studierendenwerk Thüringen sind zusammen mit den Erfurter Verkehrsbetrieben AG (EVAG) im Gespräch über den Fortbestand des Semestertickets. 

Bisher und noch bis zum Ende des laufenden Wintersemesters gilt vertraglich folgendes Solidarprinzip: Erfurter Studierende zahlen mit ihrem Semesterbeitrag einen Anteil für das ÖPNV-Ticket der EVAG (89,00 €), einen Anteil für das Bahnticket (68,50 €) und einen weiteren Anteil für das VMT-Ticket (12,10 €), zusammengerechnet also 169,60 €. Alle zahlen und es kommt dabei nicht darauf an, wie intensiv sie die öffentlichen Verkehrsmittel tatsächlich nutzen.

Ab dem Sommersemester 2023 müssen die Studierenden in Erfurt mit einer Preiserhöhung der EVAG um 9,40 € auf 98,40 € für das ÖPNV-Ticket rechnen. Preislich sieht die EVAG keinerlei Möglichkeit zum Entgegenkommen und bietet den neuen Vertrag auch maximal für ein Jahr an. Auch dass die Studierenden während der Pandemie und trotz Online-Lehre anders als Abo-Kunden weiterzahlen mussten, könne nicht berücksichtigt werden. „Wir möchten ein Entgegenkommen der EVAG statt fixer Vorgaben. Wir würden begrüßen, dass z.B. Kinder von Studierenden kostenlos mitfahren können. Das ist aktuell nur für Kinder bis zum Schuleintritt möglich“, sagt Benjamin Reichardt, Studierender an der FH Erfurt und Vorsitzender des Studierendenrates. Des Weiteren werden auch Preissteigerungen der Deutschen Bahn um 2,50 € die Studierenden treffen.

Während also die Studierenden in Erfurt für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel in Thüringen ab April 2023 voraussichtliche Kosten in Höhe von 181,50 € pro Semester tragen müssen, arbeiten Bund und Land an 49- bzw. sogar 28-Euro-Tickets. „Die konkreten Regelungen stehen zwar noch aus, dennoch ist die Einführung des 49-Euro-Tickets spätestens zum 01. April 2023 von der Politik angekündigt. Damit erhalten auch Studierende eine völlig neue Mobilitätsperspektive und der Nutzen des Semestertickets muss neu bewertet werden“, sagt Torsten Schubert, Geschäftsführer des Studierendenwerks Thüringen. 

Das Semesterticket wird solidarisch finanziert, weil die Gemeinschaft der Studierenden einen Vorteil daraus erfährt. Mit der Einführung eines 49-Euro-Tickets könnte diese Grundlage wegfallen – mit der Einführung eines 28-Euro-Tickets würde sie das sowieso: Das Semesterticket gilt ausschließlich in Thüringen, wird im Voraus bezahlt und die Studierenden haben nicht, wie andere Fahrgäste mit Abo-Tickets, die Möglichkeit, dieses nicht zu erwerben und bspw. auf das Fahrrad umzusteigen oder das Abo zu kündigen. Auch wenn sie das Ticket nicht oder nur selten beanspruchen, zahlen sie dafür den vollen Semesterticketbetrag. 

Mit der Option, monatlich 49 Euro zu zahlen, könnten Studierende „besser fahren“, und zwar bundesweit. Damit können die Studierenden einen deutlichen Mehrwert bekommen, der in vielen Fällen nur wenige Mehrkosten mit sich bringt – zum Beispiel dann, wenn sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen, um ihre Eltern in einem anderen Bundesland zu besuchen und dafür bislang neben dem Semesterticket weitere Tickets erwerben mussten. Mit dem 49-Euro-Ticket sind diese Fahrten inklusive. Wenn Studierende diese Fahrten z.B. nur während der Vorlesungs- und Prüfungszeit auf sich nehmen und die Semesterferien ohnehin in der Heimat verbringen, entstehen die Kosten für nur 4 Monate. Damit liegen die Kosten für eine bundesweite Nutzung (196 €) nur gering über denen für eine Nutzung in Teilen Thüringens (181,50 €). Dass Studierende zusätzlich zu ihrem Semesterticket das 49-Euro-Ticket kaufen sollen, ist kaum zu vermitteln.

„Wir möchten das solidarische Semesterticket zukünftig erhalten“, bekräftigt Schubert die gemeinsamen Anstrengungen mit den Studierenden, um mit der EVAG einvernehmlich zu einer Vertragsverlängerung zu kommen. Mit Inkrafttreten des 49-Euro-Tickets oder eines ähnlichen anderen Tickets soll im Vertrag mit der EVAG für die Studierenden eine Wahloption geschaffen werden. Danach können sich die jeweiligen Studierendenschaften der beiden Hochschulen später entscheiden, ob sie auch unter diesen Bedingungen das Semesterticket fortführen möchten oder die Semesterbeiträge anteilig von der EVAG zurückerstattet werden. Der Vertrag zum Semesterticket würde dann ruhend gestellt. 

Grundsätzlich sind sich die Vertragsparteien in allen Punkten und Preisen einig. Offen ist aktuell noch, ob der Wunsch der EVAG umsetzbar ist, alle Studierendenausweise auszutauschen bzw. neu zu bedrucken, sofern sich die Studierendenschaften für die Wahloption entscheiden. Ein Studierendenausweis ist gleichzeitig auch Geld- und Zutrittskarte und kostet ca. 15 EUR.

„Die angestrebte Option zur Wahl und zur anteiligen Erstattung wird voraussichtlich ohnehin wie beim 9-Euro-Ticket vom Gesetzgeber vorgegeben“, sagt Schubert weiter und sieht darin keinesfalls ein Kündigen oder eine Beendigung der Zusammenarbeit mit der EVAG. „Ganz im Gegenteil. Aus Sicht des Studierendenwerks Thüringen sind die Zusammenarbeit mit den Thüringer ÖPNV-Unternehmen und Kultureinrichtungen sowie die damit verbundenen Solidarmodelle wertvoll und erhaltenswert“. Benjamin Reichardt ergänzt: „Auch uns liegt das Solidarprinzip am Herzen. Im direkten Vergleich bietet uns das 49-Euro-Ticket aber perspektivisch, zumindest auf unbestimmte Zeit, mehr Vorteile“.

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